Initiation oder ein Anfang ohne Ende
Erst gegen Ende seiner physischen Präsenz änderte Bhagwan Shree Rajneesh (1931-1990) seinen Namen in Osho, unter dem er heute wohl vielen eher bekannt ist als unter dem Namen Bhagwan, obwohl dieser in weitaus stärkerem Maße die Medien beherrschte. Der Name Osho, so hieß es, sei u.a. eine Anspielung auf das Wort „oceanic“.
Ende 1979 trat etwas in meinem Leben ein, dass ich ebenfalls nur als „oceanic“ bezeichnen kann, weil mich eine Woge erfasste, die mich mit der Vehemenz, die die bedeutungsvollen Wegpunkte im Leben einzuläuten pflegt, unerwartet und mit seltener Eindringlichkeit in eine völlig neue Richtung „spülte“.
Es begann damit, dass ein Bekannter, der bei uns zu Besuch war, aus einem Buch vorlas, das zur damaligen Zeit in Deutschland wie eine Bombe einschlug und auf Tausende wohl eine ähnliche Wirkung hatte. Es war das Buch „Ganz entspannt im Hier und Jetzt“, in dem der ehemalige Stern-Reporter Jörg Andrees Elten seine Erlebnisse mit dem indischen Mystiker Bhagwan beschrieb und damit eine Völkerwanderung nach Indien mit auslöste.
Obwohl ich nur „zufällig“ dieser Lesung beiwohnte, war ich von dem Buch fasziniert, behandelte es doch ein Thema für mich völlig neuer Art. Und es hatte den Geschmack des ultimativen Abenteuers.
In den nächsten Tagen sog ich den Inhalt dieses Buchs in mich auf wie ein trockener Schwamm das Wasser. Es gab keinen Zweifel, dies traf mich auf einer ganz zentralen Ebene meiner selbst. Das Problem war nur: Bhagwan lebte in Indien – und ich war ein gerade fünfzehnjähriger Teenager, nicht gerade übermäßig selbstständig für mein Alter und schon finanziell völlig außerstande, einen Trip nach Poona – wie die Stadt Pune damals noch hieß – auch nur zu erwägen.
Dennoch drängte sich Bhagwan in der darauf folgenden Zeit mit der Vehemenz von Sirenengesang in meinen Fokus – Psychologen würden natürlich von selektiver Wahrnehmung reden. Es entsprach sicher auch einfach der allgemeinen Zeitqualität. In viel offensichtlicherem Maße als heute brannte Bhagwans Wirken wie ein global wahrnehmbares Leuchtfeuer, das zu ihm rief – und viele erhörten diesen Ruf. Aber ich war damals nicht auf der Suche nach Spiritualität. Religion verströmte für mich allgemein eher einen Geruch des Halbtoten und ich sah mich mehr als Atheisten. Erich von Dänikens Interpretationen der biblischen Geschichten hielt ich für wesentlich pausibler, wenn auch nicht unbedingt für wahrer.
Man muss dabei bedenken, dass Meditation und Spiritualität zu der Zeit bei weitem nicht die Selbstverständlichkeit und Akzeptanz genossen, wie es in der heutigen Gesellschaft der Fall ist. Das war mehr etwas für eine kleine Minderheit und galt für gewöhnlich als etwas verschroben bis durchgeknallt. Die ganze New-Age-Bewegung befand sich noch in ihren Kinderschuhen und hatte auch nicht diesen Geschmack von Wellness-Holiday, den sie heute leider oft versprüht.
Heute gehören Meditationen wie selbstverständlich zu Managementseminaren, damals wäre man aufgrund derartiger Interessen in solchen Kreisen eher als „nicht mehr tragbar“ betrachtet worden, weil man damit indirekt die fundamentalsten Paradigmen der Gesellschaft in Frage gestellt hätte. Man war ein Aussteiger, wenn man zu Bhagwan ging, auch wenn dieser immer und immer wieder betonte, dass moderne Spiritualität eben genau damit nichts zu tun hätte. »Seid in der Welt, aber nicht von der Welt« war die vereinfachte Formel, mit der er seine Sannyasins beschwor, die innere Stille gerade mitten auf dem Marktplatz zu finden. Aber um das als Außenstehender zu erkennen, hätte man sich von der stereotypen Berichterstattung der Medien emanzipieren müssen, die stets im Boulevardstil über die vermeintlichen Sensationen rund um Bhagwan geiferte.
Erste Schritte
Doch zurück zu meinen ersten Schritten auf diesem Weg. Als hätte ich den Deckel einer magischen Truhe geöffnet, begegnete Bhagwan mir nun an jeder Straßenecke. Überall sah ich plötzlich die orange-rot gekleideten Jünger auftreten, auf einmal entpuppten sich Menschen aus meinem weiteren Umfeld als Sannyasins, einer sogar als einer der Centerleiter der Berliner Dependance, im Kino lief auf einmal Wolfgang Dobrowolnys Film „Ashram in Poona“, ich entdeckte Mitschüler, die Sannyasins waren usw. Es gipfelte in Situationen, in denen ich den Fernseher einschaltete und als erstes erscheinende Bild Bhagwan, mit zum Namasté gefalteten Händen sah.
Schließlich fand ich meinen Weg in die Berliner Meditationszentren, deren es damals zwei gab: das ältere Anandlok und das neuere, größere Vihan, beide im Berliner Bezirk Kreuzberg beheimatet.
Meinem Wunsch, Sannyasin zu werden wurde dort erst einmal eine Bremse verpasst. Dafür hätte ich zunächst einmal mindestens drei Wochen lang täglich die Dynamische Meditation zu praktizieren, wurde mir mitgeteilt.
Aha, kein Problem. Es waren ohnehin gerade Osterferien und so radelte ich fortan jeden Morgen der Morgensonne entgegen ins Vihan (was soviel wie Morgenröte heißt) und machte meine Dynamische – und oft auch noch weitere Meditationen. Morgens gab es zunächst die Dynamische Meditation und danach die Nataraj-Meditation, eine Tanzmeditation. Nachmittags wurden nochmals die Dynamische, danach die Kundalini- und am Abend meist die Nadabrahma-Meditation angeboten. Daneben gab es regelmäßig Audio-Lectures, also Bhagwans tägliche Vorträge vom Band.
Vihan
Das Vihan war eine ehemalige Fabriketage, die zu einem sehr gemütlichen Meditationszentrum ausgebaut worden war. Die Meditationen fanden in einem Saal mit Schwingdielen statt, der so groß wie eine ganze Wohnung war. Zu der damaligen Zeit war es nicht ungewöhnlich, dass die Meditierenden dabei nackt waren, vor allem bei den eher dynamischeren Meditationen, später wurde davon Abstand genommen.
Nach den Meditationen bedeckten stets Schweiß-Lachen den Holzboden, der sofort von fleißigen Cleanern gewischt wurde. Der Raum war schlicht gehalten. An der Stirnseite und dem Fenster gegenüber hing jeweils ein Bild von Bhagwan, der einzige Schmuck der ansonsten weißen Wände. Die Decke war mit einem leichten Gerüst aus Holzleisten abgehängt, deren Zwischenräume von oben mit Stoff bespannt waren. Die darüber befindlichen, dimmbaren Lampen erzeugten dadurch den Eindruck einer flächig leuchtenden Decke und warfen so ein gleichmäßiges, recht angenehmes Licht. Die Musik zu den Meditationen kam vom Band und wurde von dem Meditationsleiter von einem Vorraum aus bedient, der mit einem schlitzartigen, verschließbaren Sichtfenster mit dem Meditationssaal verbunden war. Die Musik zu den Meditationen stammte von Swami Chaitanya Hari (Georg Deuter), einem sehr inspirierten Musiker, der das Genre der New-Age-Musik zumindest mitbegründet hat und auch über die Sannyasin-Szene hinaus erfolgreich war. Im Gegensatz zu dem heute meist seichten und musikalisch flach gehaltenen Säusel-Sound war Chaitanya sehr experimentierfreudig und setzte eine Vielzahl an Instrumenten, Klängen und Stilen ein, stets hervorragend geeignet, die entsprechenden Meditationen optimal zu untermalen. So passte das infernalische Getrommel ebenso perfekt zu der aufrüttelnden und kathartischen Dynamischen Meditation, wie die davontragenden Klänge, die er für ruhige Phasen und Meditationen komponierte, einen dabei unterstützten, die Ruhe im Kopf zu erreichen.
Am anderen Ende des Meditationsraumes ging es zu den Gruppenduschen. Nach der Meditation konnte man es sich in dem geräumigen Bistro bequem machen, wo es Chai (indischer Gewürztee mit Milch) und Essbares gab. Das Bistro lag Seite an Seite mit dem Meditationsraum und die Wand, die beide trennte, war mit einer Landschaft bemalt. Der Boden bestand aus robustem Kokosteppich und viele Pflanzen begrünten den Raum. Man machte es sich je nach Geschmack an Tischen oder kuscheligen Sofas mit Tischen in Bodenhöhe bequem. Die Anwesenden waren im Schnitt Anfang Dreißig, also gut doppelt so alt wie ich, den selbst von den Jüngsten noch einige Jahre trennten. Viele trugen auch hier in der Großstadt lange Roben, die sie in Indien erstanden hatten und die Männer versuchten überwiegend, Bhagwan in der Bartlänge nachzueifern. Die Kleidung in allen erdenklichen Abstufungen von Dunkelrot bis Orange war ebenso wie die Mala obligatorisch. Einige wenige Neuankömmlinge stachen optisch heraus, wurden aber in keiner Weise anders behandelt. Der vorherrschende Look war noch stark vom Hippie-Indienlook geprägt, das sollte sich aber bald ändern.
Neben Meditationsraum und Bistro gab es noch einen Gruppenraum, in dem verschiedene Selbsterfahrungsgruppen abgehalten wurden, einen Raum, der den Ki-Buch Verlag beherbergte, welcher deutsche Übersetzungen von Bhagwans Büchern produzierte, eine Büro für die Leitung und – eine Etage tiefer – eine Werkstatt für die Handymen genannten Handwerker, die für alle Baumaßnahmen und andere anfallende Arbeiten im Zentrum zuständig waren. Alle, die dort arbeiteten, taten es aus freien Stücken und ohne Bezahlung. Je nachdem, wie viel Zeit der einzelne dafür opferte, gab es aber Entlohnung in Form von kostenlosen Meditationen bis hin zur Vollverpflegung. So gab es natürlich durchaus eine feste Crew. Gewohnt wurde außerhalb, erst später zog der harte Kern in ein gemeinsames Wohnhaus, genannt „Dörfchen“, welches u.a. durch die erfolgreiche Diskothek Far Out, die 1983 am Kurfürstendamm eröffnet wurde, getragen wurde.
Das Gruppenangebot im Vihan entsprach mehr oder weniger dem in Poona, umfasste also u.a. Meditation, Massage, Gestalt, Primärtherapie, Atemtherapie, Tai Chi, Theater, Tanz, Energiearbeit, Encounter, Tantra usw.. Es gab Schwerpunkte, aber in den meisten Gruppen kamen mehrere dieser Kategorien zur Anwendung. Besonders die Encounter- und Tantragruppen waren für die Medien immer wieder Quelle neuer, immer gleich gearteter Sensationsreporte. Die Therapeuten waren alle Sannyasins und wenn sich die aus Poona bekannten Größen der Szene dort die Ehre gaben, glich das oft dem Auftritt von „spirituellen“ Rockstars. Die Therapeuten hatten so etwas wie einen Hohepriester-Status, was einigen auch ganz gewaltig zu Kopf gestiegen ist.
Es sollte sich noch herausstellen, dass der Versuch, das Ego zu droppen – wie es damals die gängige Formulierung war – mit dem Versuch vergleichbar war, eine Papierkugel, die im Hals einer waagerecht liegenden Flasche liegt, in dieselbe zu pusten. Aber dies galt als das erstrebenswerte Ziel eines jeden Sannyasins, dass er oder sie möglichst heute, spätestens morgen zu erreichen trachtete.
So machte ich meine regelmäßigen Meditationen und spontan eine sechstägige Rebirthing-Gruppe, eine Atemarbeit, die von einem amerikanischen Therapeuten entwickelt worden war und einen über die Atmung an das eigene Geburtstrauma führen sollte. Auch diese Gruppe beinhaltete natürlich die Meditationen von Osho und allerlei andere Methoden.
Die Wirkung dieser Wochen war sehr intensiv. Völlig neue Dimensionen der Wahrnehmung öffneten sich vor mir und ich hatte das Gefühl, meinen Klassenkameraden nur schwerlich verständlich machen zu können, was ich erlebt hatte.
Initiation
Im Sommer war es dann endlich soweit und ich erhielt von Bhagwan die heiß ersehnte „Vollmitgliedschaft“ in Form eines neuen, indischen Namens (Prem Pavitro = Reine Liebe) und der Mala.
Aber wie das so zu mir passt, vollzog sich das im Stillen und anders, als gewöhnlich. Die Initiationsroutine war in der Regel immer mit viel Hei-ti-tei vor versammelter Mannschaft verbunden, aber bei mir verdaddelte der damalige Centerleiter Ananya das ein wenig und ich bekam meine Mala in einer „Einzelsession“, da ich keine Lust hatte, noch einen Tag zu warten. So begann mein untypisches Sannyasin-Leben, das irgendwie auch immer untypisch blieb. Möglicherweise bin ich der einzige Sannyasin, der schon in dieser „Pune1“ genannten Phase zu Bhagwan stieß und ihm physisch nie begegnet ist. Nun, es kam eben so.
Tatsächlich war ich im Jahr darauf soweit, endlich nach Poona aufzubrechen. Doch davon später.
Anandlok
Zu dieser Zeit war der ehemalige Sannyasin-Kollege meiner Mutter bei uns, weil sie ihn mit ein paar Renovierungsarbeiten beauftragt hatte. Durch ihn kam ich mehr in Kontakt mit dem älteren der beiden Bhagwan-Zentren, dem Anandlok. Das war wesentlich kleiner und auch in anderer Hinsicht anders. Es gestand aus einem Gemeinschaftsraum mit einem kleinen Nebenraum, der mal für die eine oder andere Massage verwendet wurde und einem Meditationsraum, der aber wesentlich kleiner als der des Vihan war. Wände und Decke des Gemeinschaftsraumes waren komplett mit kunstvoll angelegten Ornamenten verziert. Diese waren aus – in allerlei Farben und Variationen marmorisierten – Papieren ausgeschnitten und anschließend an die Wand geklebt worden. Dieser Stil entsprach auch voll und ganz dem Anandlok. Hier versammelten sich viele der Ur-Sannyasins und mehr die „Freaks“. Zu den ersten, die Anfang der Siebziger zu Bhagwan stießen, zählten ja viele Hippies, die auf ihren obligatorischen Indientrips auf Bhagwan gestoßen waren. Für all jene war das Anandlok eben das Heimatzentrum. Es wurde auch schon 1974, also in dem Jahr, als Bhagwan von seinem kleinen Appartement in Bombay in den Ashram nach Poona übersiedelte, gegründet. Das Vihan kam erst drei Jahre später hinzu, wohl auch, weil einige nicht so zufrieden mit dem Hippie-Ambiente waren.
Das Vihan war nicht nur größer, sondern auch sauberer, frischer und zog ein anderes Publikum an. Aufgrund seiner räumlichen Möglichkeiten liefen die Selbsterfahrungsgruppen auch vor allem dort. Gruppen waren im Anandlok – zumindest in der Zeit, die ich noch erlebt habe – eher die Ausnahme. So fanden alle wesentlichen Events im Vihan statt.
Auch die Organisation des Anandlok war nicht so straff wie im Vihan und Befehle der „obersten Kommandoebene“ sickerten dort nur langsam durch. Das Vihan stand in engerer Verbindung zu den jeweiligen, aktuellen Entwicklungen in Poona. Dennoch gab es durchaus viele Sannyasins, die beide Zentren frequentierten, wie mich selbst. Ich fand das Anandlok gemütlicher und familiärer und es entsprach auch mehr meinem eigenen, noch stark von der Hippie-Romantik geprägten Geschmack.
So setzte sich hier auch nicht so schnell der von Poona ausgehende Imagewandel durch, der nun mit der Hippie-Folkore brach und ein angepasstes Erscheinungsbild propagierte. Mähnen und Bärte fielen ebenso wie die Indienkluft in kurzer Zeit dem Messer zum Opfer und waren nun verpönt (obwohl ich persönlich komischerweise im Gegensatz zu den meisten nie wegen meiner damals noch langen Haare angesprochen wurde). Der neue Look sollte fit machen für's Business, denn die Kommune hatte ja nun große Dinge vor, zu denen später die Eröffnung eines vegetarischen Restaurants und einer Diskothek am Kurfürstendamm gehörte (die viele Jahre sehr erfolgreich war) – und auf großer Ebene der Errichtung der Stadt Rajneeshpuram in Oregon.
Aber das Anandlok war zu unstrukturiert, um auf Dauer zu überleben. Als ich die ersten Male dorthin kam, teilten sich ein drei Sannyasins die Verantwortung für das Center, waren aber zunehmend von anderen Dingen in Anspruch genommen. Der damalige Leiter vertiefte sich dann zunehmend in seine Lernerei für den Taxischein, den er gerade machte (Taxifahren war unter Sannyasins damals ein beliebter Job, mit dem sich viele das Geld für ihren nächsten Poona-Trip finanzierten, weil er ihnen die nötige Flexibilität gab, auch mal für ein paar Monate zu verschwinden). Schließlich blieb das Center mehr oder weniger sich selbst und den Anwesenden überlassen, ein Swami nahm das Ruder in die Hand. Da ich sowieso jeden Tag dort war, ergab es sich ganz einfach, dass ich dann anfing, die Meditationen anzuleiten, was größtenteils in der Bedienung des Cassettendecks und dem Kassenjob bestand. Der andere Swami war damit offenbar ganz glücklich und widmete sich der kleinen Küche, er war Koch. So leiteten wir gemeinsam eine Weile das Zentrum, ich hatte einen eigenen Schlüssel und fuhr nach der Schule direkt ins Anandlok, um dort sauber zu machen, bevor die ersten zur Meditation erschienen, was meiner schulischen Karriere allerdings nicht allzu gut tat. Für alle weiteren Aspekte war ich nicht zuständig. Irgendwie muss es aber zu der Zeit mit den Finanzen mächtig bergab gegangen sein, da hatte ich nie Einblick gehabt, es hatte mich auch nicht interessiert. Eines Tages gab es dann aber eine Krisensitzung in kleinem Kreis, bei dem mehr oder weniger das Ende des Anandlok proklamiert wurde. Wenig später übernahm die Vihan-Crew zeitweilig die Leitung des Anandlok und räumte zunächst einmal mit dem Ambiente auf. Die verzierten Wände wichen einer weißen Rauhfasertapete usw. So wurde kurzzeitig versucht, das Anandlok weiter zu führen, aber schließlich wurde es dann doch ganz aufgegeben.
Seifenbasen
Im Frühjahr '81 hatte ich es tatsächlich geschafft, meine Mutter dazu zu bewegen, mich für ein paar Wochen alleine nach Poona fahren zu lassen – wie, ist mir bis heute schleierhaft – und hatte es auch erfolgreich geschafft, das nötige Visum für Indien von der indischen Botschaft zu erhalten, was allerdings nicht ohne Notlüge möglich war.
Heute gilt Osho in Indien als eine der wichtigsten Persönlichkeiten des Landes, weil sein Zentrum in Pune nach wie vor einer der stärksten Touristenmagneten ist und verschiedene hochrangige Politiker des Landes zu seinen Fans gehören. Die indische Kongressbibliothek hat zudem vor Jahren sein Gesamtwerk aufgenommen, eine Ehre, die zuvor nur Mahatma Gandhi zuteil wurde.
1981 sah das aber noch ganz anders aus. Wer nach Indien einreisen wollte, tat gut daran, sein wahres Reiseziel zu verheimlichen, da Bhagwan damals eben noch als der skandalumwitterte „Sex-Guru“ galt und seine Bewegung nach Kräften mit Sanktionen belegt wurde.
Ich hatte mein Visum, der Flug war gebucht, ein Gruppenprogramm für die Zeit meines Aufenthalts hatte ich mir vom Ashram nach deren Gutdünken zusammenstellen lassen und war erfreut, dass mir der berüchtigte Encounter erspart blieb und ich u.a. für die Vipassana-Gruppe gebucht war, die – wie ich wusste – in malerischer Umgebung etwas außerhalb am Fluss stattfinden sollte. Monatelang hatte ich jeden Poona-Reisenden mit etlichen Detailfragen gequält und nun sollte es endlich losgehen. Die restliche Wartezeit war kaum noch zu ertragen.
Und dann kam das, was typisch war für Bhagwan: meine ganze Erwartung platzte wie eine Seifenblase, als er zwei Wochen vor meinem Abflug urplötzlich Indien verlies und in die USA flog.
Das ganze Programm wurde vom Ashram abgeblasen. Man solle nun erst einmal abwarten, wie es nun weiter gehen würde, derzeit sei alles unklar, hieß es knapp.
Ja, das war ein herrlicher Bhagwan-Scherz! Ich nahm das relativ amüsiert zur Kenntnis.
Jedoch nach Oregon, wo Bhagwan wenig später seine größte Seifenblase aufzublasen begann, zog es mich nicht. Die Zeit, in der eine persönlichere Begegnung als zu einem Rockstar auf der Bühne noch möglich war, hatte ich verpasst und wenn er ohnehin nur noch aus der Ferne zu erreichen war, sah ich keinen großen Unterschied zwischen 100 Metern und 10.000 Kilometern. Amerika war außerdem finanziell nochmal eine Nummer schwieriger als Indien und ich war immer noch ein mittelloser Schüler, der aufgrund der doch beträchtlichen Interessenverschiebung gerade – mehr mit lachendem als weinendem Auge – die Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe erfolgreich in den Sand gesetzt hatte. Dank meiner Verwandtschaft konnte ich nun aber auf eine Privatschule wechseln, was meinen schulischen Leistungen auch wesentlich besser tat, als wenn ich es mit Ach und Krach auf der alten Schule geschafft hätte, in die Oberstufe aufgenommen zu werden. Das nun durchzuziehen stand für mich nun mehr auf dem Programm, als den gleichen Blödsinn sofort wieder zu versuchen.
Die neue Ära, die mit Bhagwans Umzug in die Staaten dann richtig an Fahrt gewann, setzte nun deutlich andere Schwerpunkte als in den Siebzigern. Raus aus dem Kiez und mitten rein, war das Motto und dementsprechend war Kreuzberg nicht mehr gut genug. Der Ku'damm musste es sein. Unweit der Disco wurde ein komplettes Mietshaus zum neuen Ashram, „Dörfchen“ genannt, umgewandelt, in dem der harte Kern nun auch zusammen lebte. Neben Disco und Restaurant wurde dort auch das neue Meditationszentrum eröffnet, alles dicht bei einander zwischen Adenauerplatz und Halenseebrücke. Das Vihan wurde geschlossen.
Mit dem Ende von Rajneeshpuram 1985 kam dann aber auch schnell das Ende des neuen Meditationszentrums und des Restaurants.
Was sich damals in Oregon entwickelte, fand ich nicht so nach meinem Geschmack, eine Einschätzung, in der ich mich später durchaus bestätigt sah, als Bhagwan – nachdem er nach mehreren Jahren des öffentlichen Schweigens wieder zu reden begann – all jenen eine gewisse Intelligenz zusprach, die sich während der Sheela-Ära fern gehalten hatten. Nun ja, gefühlsmäßig mag ich da richtig gelegen haben, aber dieses totale Einlassen, von dem er immer sprach und wozu so viele andere scheinbar mühelos in der Lage waren, da hat's bei mir dann doch wohl gehapert. Natürlich fand ich damals viele gute Argumente, die mich darüber hinwegsehen ließen, dass ich im Grunde genommen ein Papp-Sannyasin war.
Meine aktive Zeit in der Sannyas-Szene war vorbei, mein Sannyasin-Sein jedoch nicht, auch Jahre nachdem es längst nicht mehr Pflicht war, trug ich noch die Mala und tue es auch heute noch hin und wieder. Die Veränderung, die Bhagwan in meinem Leben auslöste und die bis heute kein Ende gefunden hat, ist – wie es Peter Sloterdijk einmal für sich formulierte – irreversibel. Solange ich in mir noch den Drang verspüre, dem Mysterium dieser Welt und des Daseins darin weiter auf den Grund zu gehen und in zunehmendem Maße dem Lebenstheater mit einem Lächeln zu begegnen, werde ich mich als solchen betrachten, denn das ist für mich die Essenz von Sannyas. In diesem Sinne fing meine Reise damals überhaupt erst richtig an.