(Veröffentlicht in der Zeitschrift ?Die Freiwirtschaft", 5. Jg., Heft 3, März 1932, S. 77.)

Wieder einmal muß das ?Giralgeld?, der bargeldlose Verkehr herhalten, um zu beweisen, daß mit dem Freigeld dem Zins nicht beizukommen ist. In der Zeitschrift ?Die Kultur des Kaufmanns? vom Dezember 1922, Hanseatische Verlagsanstalt, schreibt Edmund Kleinschmitt:

?Der bargeldlose Verkehr wird sich dem Einfluß des Freigeldes entziehen. Er ist aber zahlenmäßig der größere und richtet sich in Umlaufschnelligkeit und Umfang nicht nach den Geldzeichen, sondern tut, was er will, d. h. was die wirtschaftlichen Kräfte (Initiative, Verhältnisse auf dem Warenmarkt, Staatsfinanzen, Geldkapitalmarkt) bestimmen. Inflation hängt nicht von Geldzeichenschaffung ab. Diese ist nur sekundär und ein Glied (allerdings heute das wichtigste) in der Kredit- und Einkommeninflation, die von äußeren und inneren politischen Gründen abhängt und nicht von einem Mechanismus. Man folgere aber nicht daraus, daß, wenn man durch Schwundgeld den Bewegungsrhythmus des Geldzeichenstromes künstlich reguliert, dadurch der Rhythmus des Giralgeldstromes (bargeldlose Zahlung) auch mitbestimmt werden kann. Im Gegenteil, er wird das Stauwehr werden, durch das die vergewaltigte Wirtschaft die Gegentendenz hervorrufen wird, um den von den in ihr wirksamen Kräften gewünschten, ihr entsprechenden Bewegungsrhythmus zu erhalten. Die Freigeldleute wissen, daß dieses das kräftigste Argument gegen sie ist. Sie antworten mit dem Greshamschen Gesetz.?

Es werden hier dieselben Beweise gebraucht, die jeder Neuling, die auch Otto Heyn vor zwei Jahren in der Zeitschrift ?Technik und Wirtschaft? gegen das Freigeld ins Feld führte, und mit denen, wie Kleinschmitt behauptet, das Märchen von den Zinsabbauwirkungen des Schwundgeldes gründlich zerstört wurde. Ich antwortete Heyn in derselben Zeitschrift, worauf er starb. Nach dem Grundsatz ?der Überlebende hat Recht?, habe ich also Heyn gegenüber zunächst recht behalten. Wem aber dieser ?Beweis? nicht genügt, der lese meine Erwiderung in Technik und Wirtschaft und im Maiheft der Freiwirtschaft. Interessenten wird das Heft zur Einsicht zugeschickt werden.

Es wird dort der peinliche Nachweis gebracht, daß die Bedingungen der Banken für Depositen ganz und gar von den Eigenschaften des deponierten Geldes abhängig sind. Wie das Lagergeld für eine Milchkuh anders ist wie für einen Esel, für Stroh anders wie für Feuerlöschapparate, so werden die Eigenschaften des Freigeldes notwendigerweise auf die Depotbedingungen der Banken abfärben. Das Giralgeld ist kein besonderes Geld. Es ist gewöhnliches Bargeld, das den Banken zur Aufbewahrung übergeben wird, mit dem die Banken bis zur Abhebung Privatgeschäfte machen. Über dieses Geld können nicht die Depositäre und die Banken gleichzeitig verfügen, sondern nur nacheinander, Der Schuldner der Bank, der das Geld in Händen hat, die Bank, die das Geld dem Depositär schuldet und der Depositär sind für unsere Betrachtungen eine und dieselbe Person. Heyn ließ in seiner Kritik alle drei Personen gleichzeitig über dasselbe Depotgeld verfügen! So konnte er den Schein erwecken, daß das Giralgeld sich dem Einfluß des Freigeldes entziehen könne. Heyn operierte zudem mit der Annahme, daß es keine Störungen des Geldumlaufes gebe. Das Freigeld hat aber gerade die Aufgabe, die Störungen im Kreislauf des Geldes unmöglich zu machen. Es soll den Geldumlauf unabhängig machen von den Konjunkturen und von den Bewegungen des Zinsfußes. Wer nichts von solchen Konjunkturschwankungen wissen will, wer vergessen hat, wie sich das Gold bei der Kriegserklärung in allen Ländern verhielt, wer z. B. auch nichts davon weiß, daß sich zur Zeit in der Notenbank der Vereinigten Staaten 3 Milliarden Dollars befinden, die dort zu Deflationszwecken dem Verkehr entzogen wurden, der allerdings wird den Zweck des Freigeldes nie begreifen. Wären diese 3 Milliarden Dollars auch da, wenn es sich um Freigeld handeln würde? In Argentinien waren im Jahre 1900 zwei Drittel der gesamten Notenausgabe (200 von 300 Millionen) in die Banken vor dem Preisabbau geflüchtet und lagen dort vollkommen brach. Für Depots zahlten die Banken keinen Zins. Mit dem Freigeld hätten die Banken, um sich für den Schwund schadlos zu halten, die Depots mit dem Schwund belasten müssen, was die Depositeninhaber zur schleunigen Zurückziehung der Depots veranlaßt haben würde.

Heyn frug auch, wo denn heute das Geld bliebe, das angeblich bei Konjunkturumschwung gehamstert wird, oder das die Spekulanten für ihre Börsenoperationen dem Verkehr angeblich entziehen. Es fiel ihm nicht ein, diese Frage an die Leute zu stellen, die in langen Polonaisen bei jedem Banksturm vor den Schaltern der Banken stehen.

Oder die Anfangs August 1914 das Gold in private Verstecke brachten. Die endlosen Aufrufe der Reichsbank an die Goldhamster hatte er schon vergessen. Genau, wie das heute alle die commis voyageurs der Goldwährung tun. Sie wissen, daß bei Kriegsausbruch die Reichsbank gezwungen war, dem von allem Geld entblößten Verkehr mit Banknoten zuhilfe zu eilen. Sie wissen, daß dieselbe Geldhamsterei sich heute bei jeder französischen Drohnote wiederholen würde, und trotzdem beharren sie dabei, die Rückkehr zur Goldwährung zu fordern! Wie weit solcher Goldwahn geht, zeigt uns Professor Lassar-Cohn aus Königsberg. Nachdem er bewiesen hat, daß der Untergang Roms viel mit der Erschöpfung der Geldmetallfundstätten zu tun hatte, kommt er zum Schluß, daß das Deutsche Reich nichts Besseres tun kann, als zur Goldwährung zurückzukehren.

Aber noch eins vergaß Heyn, und zwar für diese Betrachtung die Hauptsache. Er vergaß, daß für die Preise eine Verlangsamung des Geldumlaufes genau denselben Einfluß hat, wie eine entsprechende Hamsterung des Geldes. Es brauchen also nicht einmal die Bankdepots zuzunehmen. Es braucht auch keine ausgesprochene Geldhamsterei einzutreten, um einen Preissturz, um Börsendifferenzen hervorzubringen. Es genügt, daß jeder der Konjunktur wegen das Geschäft sich zweimal statt einmal überlegt, so ist das, was die Wirkung anbetrifft, genau dasselbe, wie wenn die Reichsbank statt zwei Billionen nur eine druckt. Wer das Geld nicht dynamisch begreifen kann, der wird gut tun, die Erforschung des Geldes anderen zu überlassen. Heyn, wie Kleinschmitt, wie alle Kritiker der Freigeldlehre haben die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes bei ihren Betrachtungen vergessen!

Von derselben durchschlagenden Beweiskraft wie obiger Einwand ist die Behauptung, das Giralgeld entzöge sich jedem Einfluß des Freigeldes. Der bargeldlose Verkehr täte, ?was er will?. Wie kann man solche Behauptungen heute noch aufstellen, da es doch offenbar ist, daß die Besitzer des Giralgeldes von der Notenpresse ebenso geplündert wurden, wie die Besitzer des Bargeldes? Warum entzogen sie sich denn nicht dem Einfluß des Schundgeldes? Aus denselben Gründen aber, aus denen die Besitzer des Giralgeldes das Schicksal des heutigen Schundgeldes teilen, werden sie morgen das Schicksal des Schwundgeldes teilen. Die Rettung aus der Mark vollziehen die Besitzer des Bargeldes nicht durch die Flucht in das Bankkonto, sondern durch die Flucht in die Sachwerte. Dieselbe Flucht in die Sachwerte, in Waren, in Lohnzahlungen, in Unternehmungen aller Art, werden auch die Freigeldbesitzer üben müssen. Die Flucht vor dem Schwund in das Giralgeld wird ihnen nichts nützen.

Um die Bedeutung des bargeldlosen Verkehrs auch zahlenmäßig für seine Beweisführung wirken zu lassen, nannte Heyn die Summen, die in den Banken von einem Blatt auf das andere überschrieben werden. Es sind kolossale Summen. Aber was beweisen sie in Wirklichkeit? Zeugen die Steinmassen des Kölner Doms, die über der Erde hervorragen, für oder gegen die Bedeutung derjenigen Steinmassen, die unter der Erde das Fundament des ganzen Gebäudes bilden? Alle die Summen, die bargeldlos die Besitzer wechseln, lauten auf Bargeld. Sie wären sinn- und inhaltlos, wenn nicht das bare Geld wäre, in das sie sich alle früh oder spät auflösen. Und so oft es der Gläubiger wünscht, muß der Schuldner das Giralgeld in Bargeld umsetzen. Darum nimmt mit der Entwicklung des bargeldlosen Verkehrs die Bedeutung des Bargeldes nicht etwa ab, im Gegenteil sie wächst mit dieser Entwicklung. Sie beweist, welche Wirkung es haben muß, wenn etwa der zum bargeldlosen Verkehr gehörige Kredit erschüttert wird, wenn das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit der Banken ins Schwanken gerät, und nun all die gewaltigen Summen, die Heyn gegen die Bedeutung des Bargeldes ins Feld führen wollte, in Bargeld realisiert werden wollen! Seitdem die Papiergeldwirtschaft alle Schulden, auch die der Banken, in Wasser verwandelt hat, haben wir keinen Bankbruch mehr erlebt. Die Schuldner und damit auch die Banken sind heute absolut sicher. Aber warten wir einmal die Stabilisierung der Mark ab! Es genügt dann, daß im weiten Deutschen Reich eine einzige Bank versagt, um den bargeldlosen Verkehr unsicher erscheinen zu lassen und um dann alle die bargeldlosen Geschäfte dem Bargeld aufzubürden. Dann werden die Zusammenhänge allen, hoffentlich auch Herrn Edmund Kleinschmitt durchsichtig und verständlich werden. Im übrigen wollen wir hier noch Kleinschmitt darauf aufmerksam machen, daß der Bargeldverkehr auch zahlenmäßig wahrscheinlich dem bargeldlosen Verkehr überlegen ist und daß beim Vergleich beider Zahlungsmethoden der Summe der jährlichen bargeldlosen Geschäfte nicht einfach die Summe des Bargeldes gegenübergestellt werden darf, sondern die Summe der jährlich mit dem Bargeld ausgeführten Geschäfte. Wenn man hier vergleichen will, so mag man den Bestand an, Bargeld mit der Summe der täglichen bargeldlosen Zahlungen vergleichen.

?Inflation hängt nicht von Geldzeichenschaffung ab?, sagt Kleinschmitt. ?Diese ist nur sekundär und ein Glied in der Kredit- und Einkommeninflation.? Mit diesem Zitat wollen wir unsere Antwort auf Kleinschmitts ?Kritik? schließen.

Silvio Gesell.