Dieses Kapitel ist nach dem Tode des Autors in die 7. und 8. Auflage seines Werkes gekommen1.
Es ist für die vorliegende 9. Auflage wieder aus dem Haupttext entfernt worden, soll aber hier im Anhang zusammen mit den maßgebenden Darlegungen des Verfassers dem wissenschaftlich Interessierten zugänglich gemacht werden.
Der Herausgeber.

Für viele verwirrend ist heute noch die Frage, wie man bei vollkommen durchgeführtem bargeldlosem Verkehr sich solch vermeintliches unkörperliches Geld, reines Zah­lungsgeld und die dazugehörige Preisbildung vorzustellen habe. Manche sprechen hier von einem vollkommenen Abstrakt. Die Mark als greifbare Ware in Gestalt von Münzen oder Banknoten sei nicht mehr da. Das, was als Geld dort in den Büchern stehe, sei vollkommen entstofflicht, abstrakte Größe. Wie aber kann man mit einem Abstrakt Handel treiben, feilschen, wuchern, kurz alles das tun, was heute bestimmend auf die Preisgestaltung zu wirken pflegt? Auch hätte man aus den Konten der bargeldlosen Zentrale das Wort ?Mark? als überflüssig gestrichen. Im Scheck begnüge man sich, eine Zahl anzugeben. »Dem Konto A sind 150 zu belasten.« Eine Zahl, deren Einheit in keinem konkreten Gegenstand dargestellt sei! Und für diese entseelte Zahl könne man alle Kostbarkeiten des Marktes im Handel und Streit erstehen. Unheimlich!

Um eine Sache dem menschlichen Begriffe zu erschließen, muß sie in Raum und Zeit darstellbar sein. Der bargeldlose Handel wirkt vexierend, nur weil wir ihn in Raum und Zeit nicht zu lokalisieren vermögen. Solange das nicht gelingt, steht natürlich der Geist wie der Ochs vor dem Berge. Machen wir uns ein klares Bild von diesem sogenannten bargeldlosen Verkehr. Wir nehmen den einfachsten Fall an für die Durchführung des bargeldlosen Verkehrs, den Fall, daß die Reichsbank ihre sämtlichen Noten restlos einzieht und verbrennt und jedem für den Betrag der abgelieferten Noten ein Konto eröffnet. Dann ist der Gesamtbetrag der Konten gleich dem gesamten Notenumlauf. Die Reichsbank zertrümmert die Notenpresse. Dafür geht jetzt das Recht der Notenausgabe (Schecknoten) auf die Konteninhaber über, die es im Rahmen ihres Guthabens ausüben. Das frühere Notenmonopol ist aufgeteilt, kontingentiert, auf das Publikum übertragen. Doch ist es immer noch Monopol der Reichsbank, ohne deren Einwilligung der Gesamtbetrag der Konten nie um eine Einheit zu- oder abnehmen kann. Im Grunde ist es aber nur eine Erweiterung des heutigen Zustandes. Denn heute ist das Notenrecht auch kontingentiert. Die süddeutschen Staatsbanken teilen sich darein mit der Reichsbank. Zu diesen süddeutschen Banken treten jetzt sämtliche Inhaber von Reichsbankkonten. Aber das Gesamtemissionsrecht dieser Konten ist nicht größer als der Betrag der bis dahin umlaufenden Noten. Daß man die Noten der Konteninhaber Schecks und nicht Banknoten nennt, ist ohne Belang. Die Banknote ist ja nichts anderes als ein Bankscheck.

Nun macht jeder Gebrauch von seinem Notenrecht innerhalb der Grenzen seines Kontingents, das mit jedem Scheck zu- oder abnimmt. Das, was ein Konto verliert, gewinnt ein anderes. Man stellt Schecknoten aus für alles, was man kauft. Es ist kein für den Begriff wesentlicher Unterschied gegenüber den heutigen Banknoten. Die Schecks sind Banknoten mit befristeter Laufzeit. Setzen wir die Laufzeit der heutigen Banknoten auf drei Tage herab, so tritt die Wesenseinheit von Scheck und Banknote noch viel deutlicher zutage. Auch daß die Gewähr für die Echtheit des Schecks geringer ist als für die Banknote, berührt nicht das Wesen der Sache.

Wer die Wesenseinheit von Scheck und Banknote noch besser erfassen will, der kann sie äußerlich dadurch in Erscheinung bringen, daß die Reichsbank den Konteninhabern als Scheckformulare ihre eigenen Banknotenformulare übergibt. Dann ist nur die Unterschrift der Banknoten geändert worden, was für den gesuchten Begriff auch nicht von Belang ist.

Ist nun solches Geld wirklich noch vexierend, gespensterhaft, unserem Begriff verschlossen und darum auch nicht zu bemeistern, zielstrebig zu verwalten? Freilich, wer auch noch im heutigen Papiergeld ein unbemeistertes Problem sieht, dem wird das bisher Gesagte nicht viel nützen. Ich verweise auf das, was ich hierüber in dem Abschnitt: »Warum man aus Papier Geld machen kann« gesagt habe. Wer das hier in Rede stehende Problem vom Wertgedanken aus in Angriff nimmt, wird an seinem Verstande verzweifeln oder das Problem für unlösbar erklären. Eugen Dühring steht nicht an, jeden für wahnsinnig zu erklären, der vorgibt, das Papiergeld begriffen zu haben. Er ging wohl auch vom Wertgedanken aus.

Dieses sogenannte bargeldlose Geld ist in Wirklichkeit genau so gut Bargeld wie die Noten der Reichsbank. Jedes Stück ist greifbar, sichtbar, übertragbar. Der Scheck erfüllt damit alle Bedingungen, die körperlich an ein Geld gestellt werden müssen. Die Herstellung dieses Geldes ist scharf begrenzt. Wie für alles Geld, gilt auch für dieses die

Formel: G. U. · W = P.

G = die Summe der Bankguthaben.
U = die Umlaufsgeschwindigkeit.
W = Warenerzeugung.
P = Preis.

U ist gleich der Zeit, die durchschnittlich verstreicht vom Tage der Ausstellung des Schecks bis zur Meldung, daß der Scheck gutgeschrieben wurde und daß demnach wieder über den Betrag verfügt werden kann. Wenn jeder immer über den vollen Betrag seines Guthabens verfügte und jeder Scheck hätte drei Tage Laufzeit, dann wäre der Geldumlauf G · 3. Hier tritt also das zum Begriff nötige Moment der Zeit in die Erscheinung.

Die Preise sind wie bei jedem anderen Geldsystem in stärkster Weise von U abhängig. Will man P festlegen, so muß U unter die Kontrolle der Bargeldlosigkeitszentrale gebracht werden.

Das „bargeldlose Geld“, das unbare Geld, ist also Geld wie jedes andere. Es gehört dazu ein Gegenstand – der Scheck – also Raum. - Raum und Zeit.

Die Preisbildung vollzieht sich hier wie beim Metall- und Papiergeld durch Angebot und Nachfrage unter vollkommener Ausschaltung der Wertflunkereien. Die Nachfrage nach Waren ist gleich G U.

Freilich, ohne den zu solchem ?bargeldlosen? Handel gehörigen Körper, den Scheckraum mit seinen »Tücken des Objektes«, ohne die zeitraubenden Hindernisse, auf die U stößt, stände der unbare Handel außerhalb der Grenzen unseres geistigen Vermögens. So aber auf Zeit und Raum sich aufbauend, können wir das System erfassen und bemeistern. Sonst würde das System unserem Geiste unerhaschbar sein, es würde ins Chaos sich verflüchtigen.

Denn wenn es keines Raumes, keiner Zeit für den unbaren Handel bedürfte, wenn U somit auf keinerlei Hemmung stoßen würde, dann wäre U = ∞ (unendlich), und dann wäre P auch = ∞. Ein unendlicher Preis ist aber für Handelszwecke etwas Unmögliches. Wer darum das Bargeld im System des „bargeldlosen“ Handels nicht sieht und dennoch das System zu begreifen sucht, der denkt nicht auf der Unterlage von Raum und Zeit. Er grübelt und wird niemals das System bemeistern.

Handel mit Scheckgeld ist also überhaupt nicht „bargeldlos“ – Den verkehrten Ausdruck „bargeldloser Verkehr“ trifft die Schuld, daß so viele sich die Preisbildung unter solchem System nicht vorstellen konnten und in der Verzweiflung sich das Leben nahmen. Der verkehrte Ausdruck schuf verkehrte Vorstellungen, die nicht jeder auch klären konnte, weil er mit ihnen dachte, statt über sie zu denken. Es ist eben falsch zu glauben, »daß, wenn man nur Worte hört, es sich dazu doch auch was denken lassen müsse«. Der „bargeldlose Verkehr“ muß doch wohl etwas sein, denn wie käme man sonst auf den Gedanken, ihm einen Namen zu geben?

Es hat nie bargeldlosen Handel gegeben. Die, die davon reden, haben den Begriff Geld zu eng gefaßt. Sie schufen damit die Bedingungen für ein Gespenst. Dasselbe Licht, das uns das Scheckgeld in Raum und Zeit entschleiert, verscheucht das Gespenst des bargeldlosen Verkehrs. Den bargeldlosen Verkehr hat ganz bestimmt noch niemals ein Mensch begriffen.

Und so fragen wir uns: Wie kann die Reichsbank den „bargeldlosen Verkehr“, für den sie so eifrig wirbt, zielstrebig lenken, wenn dieser außerhalb von Zeit und Raum sich der menschlichen Erkenntnis entzieht?